Wagner-Drohne in der Sübkültür am 23.7.2013

P1030713Jetzt haben wir Andis Drohnen-Idee, nachdem sie andernorts von den Veranstaltern zensiert wurde, nun doch über die Bühne gebracht. Anlass dafür war die (u.a. vom Bayreuther Stadtschreiber Volker Strübing *namedrop* ins Leben gerufene und über einen Verein fundierte) Sübkültür-Reihe in der Galerie des Forum Phoinix. Die Sübkültürellen kamen auf uns zu, weil sie Wundersames von uns gehört hatten. Und ich wollte eh mal die Phoinix-Leute kennenlernen, dazu im Doppelpack noch den neuen Sübkültürlern und dem Herrn Strübing, der übrigens auch ein richtig guter SF-Autor ist, die Hand schütteln. Mit der endgültigen Drohnenablieferung also ein guter Grund, den netzwerkerischen Triplekick zu tätigen, zumal uns im Vorfeld gesagt wurde, dass — zwei Tage vor den Merkelfestspielen  — auch vielleicht der ein oder andere überregional agierende Journalist dazustoßen könnte. Letzteres hat sich leider nicht bewahrheitet — was hätte da Feuilleton-Prosa entstehen können? –, dafür war für unsere Verhältnisse fantastisch viel Publikum zugegen. Oder genauer gesagt: Die Bude war rappelvoll. Oder noch genauer: Alles Publikum, das uns bislang irgendwo gehört hat, zusammengerechnet und dann noch eine Handvoll drauf, und man hätte die Zahl erreicht, die nun an diesem Abend zugegegen war. Nicht nur diesbezüglich wurde es ein Abend der Superlative.

Aber nun alles nacheinander: Nach der nicht ganz geglückten Performance-Situation auf dem „Campus erleben“ drei Tage vorher war mir (und den anderen wohl auch) klar, dass die Sübkültür am 23. Juli voll auf die Zwölf hauen sollte. Wir hatten sogar das Event kurze Zeit mit „ab 18“ deklariert, letztlich ist uns aber nichts richtig Jugendgefährdendes eingefallen, bei dem wir uns alle nicht total blamiert hätten, deswegen hat sich die Idee bis zum Abend wieder ausgeschlichen.

Zum ersten Mal war geplant, die Sache als ein richtiges Konzert (mit festen Zeiten, evtl. Stückeinteilungen, und Pause) anzugehen, damit das Publikum weiß, wann es klatschen darf bzw. gehen und wann nicht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Unklarheiten diesbezüglich für alle Beteiligten ziemlich frustrierend sein kann.

DrohneAuch wollten wir die Sache ursprünglich mit vier Leuten angehen, aber auch das erledigte sich drei Tage vorher. Naja… dann halt mit dreien, Thaddäus, Andi und mir. Das gab der Sache wiederum eine Drift Richtung verquaster Performance, alberner Verkleidung und sinnentleerter Atonalität, also all die Sachen, die man so spontan macht, und die einen später normalerweise beim Nachhören der Mitschnitte mitunter zum Haareraufen/Mitgrölen/Lachkrampfen bringen.

Die Saat war also gesetzt, jetzt musste der Boden nur noch getränkt werden. Auch hier erwies sich Sübkültür als optimal, denn welcher Veranstalter, bitteschön, fragt schon im Vornherein bei den Künstlern spezielle Getränkewünsche ab? Insofern frisch gestärkt, innerhalb der letzten Vorbereitungsstunde mit den Jungs entschieden, wie und in welche Richtung wir die Räumlichkeiten bespielen, den guten alten Blaumann angezogen, die Gitarren und mehrere autarke Planen in den diversen Räumlichkeiten verteilt, die Tretminen ausgeteilt und scharfgestellt, den Kassettenrekorder mit Daliah Lavi bestückt, die Bildzeitung auf den Plätzen verteilt, mit dem schon eintrudelnden Publikum über Kunst gefaselt, schnell noch ne Installation aus Vorgefundenem (einem weiblichen Schaufenster-Puppen-Torso, einer Halbliterflasche Apfelschorle und einem 8mm-Filmprojektor) gezaubert, das Ensemble per Zettel auf „Apfelschorle-Pumpe/Pipi-Sinfonie“ getauft, die im Flur durchhängende Malerfolie als autarke Plane identifiziert und auf „Bück Dich für die Kunst“ getauft, zwischendurch gemerkt, dass Studentinnen von mir im Publikum sind — Performance-Modus! Nichts ist peinlich! — und dann endlich um halb neun, nach einigem Genoise und Geschwurbel füllten sich die Räume mit Publikum. Und wir drei Maskierten sitzen da in diesem Ladenlokal in einem Raum voller Leute und wissen wie immer nicht, was wir da gleich tun werden… Yay!

Apfelschorle-Pumpe/Pipi-SinfonieUm das Konzert aufs Subjektivste zusammenzufassen: Ich hatte mir eigentlich mehr Griffbrettgefrickel überlegt, irgendwie hat es mich dann doch mehr zu den Knöpfen hingezogen. Vielleicht lag es an Andis flächigen Sounds und generell an dem Umstand, dass Sprechen und flächige Ambient-Sounds, bei denen weniger passiert, sich ja besser vertragen, als ereignisdichtes Gefrickel. Wenn Thaddl redet, dann wollte ich ihm ja nicht mit meiner „Klangrede“ in die Parade fahren. Deswegen war es doch alles sehr minimal angelegt. In dem Mitschnitt hört man auch recht viele Leerstrecken, in denen fast nichts passiert. Die Leute scheint es aber mitgenommen zu haben, wir hielten wohl die Spannung und erst am Ende der Sets wurde geklatscht (dann aber richtig). Insgesamt ist das Klangresultat auch ziemlich düster ausgefallen, was nicht nur daran lag, dass es halt atonaler Krach war, sondern die von Thaddl rezitierten Texte und den vielen Zitaten, die Andi als Samples einstreute, eher auf der dunkleren Seite lagen. Es ging schließlich um die Wagner-Drohne.

Vom Gefühl her (nach den Tutti-Sachen in Nürnberg, Erlangen und Campus erleben) war es ein richtiges Konzert und hat uns im Positiven aufgezeigt, was vielleicht bei den anderen Auftritten nicht so gut gelaufen ist.

Der blaue Elefant fast unplugged und punkrocked im Wohnzimmer

Was passiert, wenn man einen blauen Elefanten zu einer WG-Party einlädt? Diese Frage hat sich wohl Barbara gestellt und bei Thaddl nachgefragt, ob er nicht für den 9 November 2012 „Der blaue Elefant onaniert im Park“ reinkarnieren lassen kann. Nach kurzer interner Rücksprache stellte sich heraus, dass Felix und Theo den Termin nicht wahrnehmen konnten. Daher haben Thaddl und ich uns darauf verständigt, den Auftritt zu zweit zu stemmen. Da es sich um einen Wohnzimmer-Konzert handelt, kamen wir überein, es ein bisschen ruhiger angehen zu lassen. Also keine Nebelmaschine, kein Stage-Diving und das obligatorische rituelle Aufwärmen vor dem Gig ließen wir unbemerkt in den Partytrubel einfließen, so dass niemand die Konspiration erahnen konnte, von der die Festgesellschaft bald heimgesucht werden sollte. Mir als Alterpräsidenten der Party wurden derweil einige aktuelle Gebräuche in der aktuellen studentischen Partykultur nahegebracht: In der ersten Etage saßen die Prinzessinnen (Motto-Party: My Home Is My Castle) und drängten den Neulingen Korn mit Leberwurst auf, während im Dachgeschoß die Jungens saßen und ihre Peergroup festklopften, in unserem Falle übers Rauchen und Snowboard-Filme-kucken. Wie ich zu meiner Erleichterung und meinem Erschrecken feststellen konnte, hat sich in der deutschen Parykultur recht wenig geändert.

Um halb 12 rum war es dann soweit: Uns wurde im Prinzessinen-Wohnzimmer direkt neben der Strandbar ein Platz freigemacht, auf dem wir uns austoben konnten. Hier sei kurz das Instrumentatium dargestellt: Thaddl hatte einen alten Drumcomputer aus der Muckenzeit seines Vaters und einen Gitarren-Kleinstverstärker mitgebracht. Das zusammengestöpselte Gerät tat nichts weniger als relativ eintönige Impulsfolgen von sich zu geben. Minimalst-Schranz mit einem Hauch 80er.

Meine Geräte waren: Akustikgitarre (einen sehr laute Hoyer Archtop aus den 1960ern), Melodika, Trillerpfeife, Kolbenflöte (für Glissandi), Knarre (bzw. Ratsche zum Drehen), Glockenspiel, diverse Mundharmonikas, Ghettoblaster mit einer Kassette von meiner Oma (mit dem autographen Vermerk „Karneval“) und ein elektrischer Rasierer. Die Gitarre habe ich eigentlich nur am Anfang und am Ende eingesetzt.

Unsere Spielvorgaben lautete in etwa: Thaddl schmeißt den Rhythmus an und toastest los und ich begleite ihn mit diversen Geräuschen. Ansonsten war alles frei, ich habe mir nur ein paar einzelne Aktionen wie den Einsatz des Rasierapparates vorher überlegt. Das Konzept ist sehr gut aufgegangen, Thaddel konnte aufs Publikum eingehen und ich meinen Krempel machen. Natürlich ist das Maß an Komplexität bei so einem reduzierten Gig nicht so groß und von einer Überwältigungsstrategie kann man eh nicht sprechen. Aber ab und zu gab es Kongruenzen und Kontrapunkte, die das Publikum auch als solche wahrnahm.

Richtig in Fahrt kam die Performance aber erst durch ein Zitat, welches Thaddl von Klaus Kinskis legendärer Jesus-Performance entlehnte:


Scheinbar fand eine Teilnehmerin des Abends die Textzeile „Du dumme Sau“, von einem wildfremden halbnackten Mann mit Iro und Glitzerumhang aus unmittelbarer Nähe direkt in ihre Richtung geschrien, als zu offensiv. Ich gehe davon aus, dass Thaddls spontane Eingebung, sich bei dieser Textstelle gerade dieser Frau zuzuwenden, dem Zufall geschuldet war. Auf jeden Fall gab es im Publikum wohl einige, die den künstlerischen Inhalt für wahr nahmen und die Aussage passend fanden. Die Dynamik wurde noch befördert, als klar wurde, dass der Freund der Angeschrieenen und das, für solche Parties obligatorische aggressive Arschloch, welches bei der kleinsten Berührung sofort explodiert, ein und dieselbe Person sind. Ich habe den ganzen Zauber und das ganze performative Potential, das von dieser Situation ausging, erst nach dem Auftritt erfahren. Fürs Erste hat es mich nur gewundert, warum uns aus dem Wohnungsflur mit dem Stinkefinger gegrüßt wurde… Dabei blieb es zum Glück auch, sogar ein verschüttetes Bier später kam der Heckler über versuchte Verbalinjurien nicht hinaus.

Ansonsten war die Resonanz sehr positiv und warm, und wir haben sogar ein paar Fans gewonnen. Und nachdem die Prinzessinen und Schlossherren ihre anfängliche Schockstarre überwunden hatten, wollten sie sogar eine Zugabe, die sie dann in Form eines Liedes vom Kapitalismus, der ihnen sagt, wo es langgeht, bekommen haben. (Wohl die lauteste Nummer an dem Abend, die halbe Minute hat mich für einen Tag die Stimme gekostet.)

Es ist immer interessant, wie verschieden beim Publikum die Voraussetzungen für das Anschauen des blauen Elefanten sind. Es war fast so wie in dem indischen Gleichnis mit den blinden Männern und dem Elefanten. Jeder hat etwas anderes gesehen und erfahren.

An dieser Stelle nochmals vielen Dank an Barbara für die Gastfreundschaft und die Möglichkeit, den Elefanten in dieser Gestalt reinkarnieren zu lassen. Wir haben uns sehr wohl bei Euch gefühlt. Und vielen Dank an die Namenlose, die mich auf 29 geschätzt hat. Ich werde noch lange davon zehren :)

Frei improvisieren – Teil 4: Das Formproblem

Das alte Formproblem… Wenn man Bruce Lee Glauben schenken will, löst sich das Problem recht einfach:

„No form is the highest form.“

Naja, er bezieht sich dabei auf die choreographischen Abläufe beim Karate, die so genannten Katas. Lernt der Karate-Schüler anfangs noch wenige Schritt-, Tritt- und Schlagfolgen in Form von Katas, steigern sich diese Katas in der Komplexität mit jedem Kiu (Gürtel). Ab dem ersten Dan, also dem Meistergrad (der sog. schwarze Gurt), erstellt der Karateka die Katas selbst und ab einem gewissen Reifegrad ist er dann in der Lage keiner Form mehr zu folgen… Das hört sich nach viel Schweiß und Tränen an, ist also als künstlerisches Motto für den Feierabend-Improvisateur eher ungeeignet. Kleine Nebenbemerkung: Elvis Presley hatte im Karate den 8. Dan, den gleichen Grad wie Chuck Norris im Taekwondo ;-)

Und tatsächlich verhält es sich mit der Form im „Free Form Jazz“ unspektakulärer als die Genre-Bezeichnung vermuten lässt. Auch im Free Form Jazz oder in der frei improvisierten Musik gibt es Steigerungspassagen, Soli und konzertierende Abschnitte, Refrainformen und Rondoformen, fugenartige Abschnitte und alle anderen Formprinzipien und Formabschnitte wie in allen anderen musialischen Gattungen und Genres der Geschichte und Gegenwart.

Wie kommen diese Formen bei einer Musik, die den Anspruch auf Formfreiheit hat, zustande? Es handelt sich um kulturell geprägte (oder vielleicht auch natürliche) Grundprinzipien, die von den MusikerInnen in das Gruppenspiel hineingetragen, musikalisch ausgehandelt und umgesetzt werden. Dabei ist es fast unwichtig, ob die Grundform nun musikalisch begründet ist oder nicht. Es ist eigentlich egal, ob das konzertierende Prinzip sich aus einem barocken Violinkonzert, der solistischen Praxis des Jazz oder einer Rede vor dem Bundestag speist. Es geht bei diesem Verhältnis Solist-Ensemble immer um die Handlung „Einer spricht, die anderen hören zu und kommentieren.“

Interessant ist bei der freien Improvisation, dass niemand vorher weiß, wohin die Reise geht. Hat man sich vor dem Spiel auf keinen geregelten Ablauf geeinigt, kann es passieren, dass der Bassist eher auf atonalen Swing aus ist, der Gitarrist lieber eine Klangfläche zimmern möchte. Saxophon 1 hat lieber Müllrausbringen, d.h. 5 Minuten Quietschen, im Sinn, Sax 2 möchte lieber eine richtig schöne Melodie spielen. Dass diese Ausgangssituation nicht zum Spiel- und Hörfrust führt, hat mit der schnellen Kommunikation in den ersten Augenblicken des Spiels zu tun, mit der Fähigkeit und dem Willen(!) auf den anderen zu hören. Anders als im autoritären Diskurs des (Rock-)Jams oder im (Realbook-)Jazz kann jedes Instrument die Rollen wechseln und tauschen. Wollten alle vier am Anfang Solo spielen, kann es passieren, dass alle ganz verschreckt nach wenigen Sekunden eher was Hintergündiges spielen, sich dann einer hervortraut und allmählich eine konzertierende Struktur entsteht. Um die Erwartungshaltung und den Stress schon am Anfang ein bisschen abzumildern, kann man sich auf Abläufe, beispielsweise die Reihenfolge der Einsätze einigen.

Eines der Grundprobleme bei frei improvisierter Musik ist das gemeinsame und/oder sinnvolle Aufhören. Bemerkenswert ist dabei, dass die Zahl der Mitspieler anscheinend im Verhältnis zur Länge des Stückes steht. Wenn wir ohne Absprache zu dritt spielen, kommen wir interessanterweise nie über 5 Minuten (außer wenn es sich jam-mäßig eingroovt). Zu viert ist meistens nach einer Viertelstunde die Luft raus. Ungekrönter Proberaumrekord war eine knappe Stunde, aber da haben sich Abschnitte aneinandergereiht … und wir haben es nicht geschafft gemeinsam aufzuhören ;-)

Wer also viel Zeit auf der Bühne zu verbringen hat, sollte sich entweder vorher ein Konzept machen oder möglichst viele Musiker auf die Bühne bringen. Peter Brötzmann mit seinem Chicago Tentet macht beides: bei einem Auftritt, den ich verfolgen konnte, bestand das Konzert aus zwei ‚Stücken‘, dem ersten und dem zweiten Set. Das Duo- oder Solo-Spiel stellt in der freien Improvisation so etwas wie die Meisterklasse dar, dann gleicht die Performance wirklich einer elaborierten Kata. Simon Frith erzählte einmal in einem Interview, dass er nach einer Solo-Tournee in Japan komplett ausgebrannt war, so heftig war die Konzentration und Anstrengung.

Soweit ein paar Gedanken zum Formproblem des Free Form Jazz bzw. zur freien Improvisation. Das nächste Mal geht es um die Frage, ob freies Improvisieren zwangsläufig atonal sein muss… ist auch eine Frage des Formproblems.