Der blaue Elefant fast unplugged und punkrocked im Wohnzimmer

Was passiert, wenn man einen blauen Elefanten zu einer WG-Party einlädt? Diese Frage hat sich wohl Barbara gestellt und bei Thaddl nachgefragt, ob er nicht für den 9 November 2012 „Der blaue Elefant onaniert im Park“ reinkarnieren lassen kann. Nach kurzer interner Rücksprache stellte sich heraus, dass Felix und Theo den Termin nicht wahrnehmen konnten. Daher haben Thaddl und ich uns darauf verständigt, den Auftritt zu zweit zu stemmen. Da es sich um einen Wohnzimmer-Konzert handelt, kamen wir überein, es ein bisschen ruhiger angehen zu lassen. Also keine Nebelmaschine, kein Stage-Diving und das obligatorische rituelle Aufwärmen vor dem Gig ließen wir unbemerkt in den Partytrubel einfließen, so dass niemand die Konspiration erahnen konnte, von der die Festgesellschaft bald heimgesucht werden sollte. Mir als Alterpräsidenten der Party wurden derweil einige aktuelle Gebräuche in der aktuellen studentischen Partykultur nahegebracht: In der ersten Etage saßen die Prinzessinnen (Motto-Party: My Home Is My Castle) und drängten den Neulingen Korn mit Leberwurst auf, während im Dachgeschoß die Jungens saßen und ihre Peergroup festklopften, in unserem Falle übers Rauchen und Snowboard-Filme-kucken. Wie ich zu meiner Erleichterung und meinem Erschrecken feststellen konnte, hat sich in der deutschen Parykultur recht wenig geändert.

Um halb 12 rum war es dann soweit: Uns wurde im Prinzessinen-Wohnzimmer direkt neben der Strandbar ein Platz freigemacht, auf dem wir uns austoben konnten. Hier sei kurz das Instrumentatium dargestellt: Thaddl hatte einen alten Drumcomputer aus der Muckenzeit seines Vaters und einen Gitarren-Kleinstverstärker mitgebracht. Das zusammengestöpselte Gerät tat nichts weniger als relativ eintönige Impulsfolgen von sich zu geben. Minimalst-Schranz mit einem Hauch 80er.

Meine Geräte waren: Akustikgitarre (einen sehr laute Hoyer Archtop aus den 1960ern), Melodika, Trillerpfeife, Kolbenflöte (für Glissandi), Knarre (bzw. Ratsche zum Drehen), Glockenspiel, diverse Mundharmonikas, Ghettoblaster mit einer Kassette von meiner Oma (mit dem autographen Vermerk „Karneval“) und ein elektrischer Rasierer. Die Gitarre habe ich eigentlich nur am Anfang und am Ende eingesetzt.

Unsere Spielvorgaben lautete in etwa: Thaddl schmeißt den Rhythmus an und toastest los und ich begleite ihn mit diversen Geräuschen. Ansonsten war alles frei, ich habe mir nur ein paar einzelne Aktionen wie den Einsatz des Rasierapparates vorher überlegt. Das Konzept ist sehr gut aufgegangen, Thaddel konnte aufs Publikum eingehen und ich meinen Krempel machen. Natürlich ist das Maß an Komplexität bei so einem reduzierten Gig nicht so groß und von einer Überwältigungsstrategie kann man eh nicht sprechen. Aber ab und zu gab es Kongruenzen und Kontrapunkte, die das Publikum auch als solche wahrnahm.

Richtig in Fahrt kam die Performance aber erst durch ein Zitat, welches Thaddl von Klaus Kinskis legendärer Jesus-Performance entlehnte:


Scheinbar fand eine Teilnehmerin des Abends die Textzeile „Du dumme Sau“, von einem wildfremden halbnackten Mann mit Iro und Glitzerumhang aus unmittelbarer Nähe direkt in ihre Richtung geschrien, als zu offensiv. Ich gehe davon aus, dass Thaddls spontane Eingebung, sich bei dieser Textstelle gerade dieser Frau zuzuwenden, dem Zufall geschuldet war. Auf jeden Fall gab es im Publikum wohl einige, die den künstlerischen Inhalt für wahr nahmen und die Aussage passend fanden. Die Dynamik wurde noch befördert, als klar wurde, dass der Freund der Angeschrieenen und das, für solche Parties obligatorische aggressive Arschloch, welches bei der kleinsten Berührung sofort explodiert, ein und dieselbe Person sind. Ich habe den ganzen Zauber und das ganze performative Potential, das von dieser Situation ausging, erst nach dem Auftritt erfahren. Fürs Erste hat es mich nur gewundert, warum uns aus dem Wohnungsflur mit dem Stinkefinger gegrüßt wurde… Dabei blieb es zum Glück auch, sogar ein verschüttetes Bier später kam der Heckler über versuchte Verbalinjurien nicht hinaus.

Ansonsten war die Resonanz sehr positiv und warm, und wir haben sogar ein paar Fans gewonnen. Und nachdem die Prinzessinen und Schlossherren ihre anfängliche Schockstarre überwunden hatten, wollten sie sogar eine Zugabe, die sie dann in Form eines Liedes vom Kapitalismus, der ihnen sagt, wo es langgeht, bekommen haben. (Wohl die lauteste Nummer an dem Abend, die halbe Minute hat mich für einen Tag die Stimme gekostet.)

Es ist immer interessant, wie verschieden beim Publikum die Voraussetzungen für das Anschauen des blauen Elefanten sind. Es war fast so wie in dem indischen Gleichnis mit den blinden Männern und dem Elefanten. Jeder hat etwas anderes gesehen und erfahren.

An dieser Stelle nochmals vielen Dank an Barbara für die Gastfreundschaft und die Möglichkeit, den Elefanten in dieser Gestalt reinkarnieren zu lassen. Wir haben uns sehr wohl bei Euch gefühlt. Und vielen Dank an die Namenlose, die mich auf 29 geschätzt hat. Ich werde noch lange davon zehren :)

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