Wie lange kann man am Stück improvisieren?

Diese Frage habe ich mir in der Rückschau auf die Hansestadt-Performance bei Campus-Kandinsky gestellt. Wir waren als Trio (Andi, Matthias zum ersten Mal und ich) eigentlich für eine halbe bis dreiviertel Stunde eingeplant, und das fühlte sich von den Absprachen und Erfahrungen aus der Klangwerkstatt auch ganz gut an. Aber dann wurde nichts aus dem darauffolgenden Auftritt des Blauen Elefanten (Thaddl, Felix, Andi zum ersten Mal beim BE und ich), weil die für uns sichtbare Zusschauermenge nicht die kritische Masse für die theatrale Performance überschritt. Der Elefant ist ja eher was Durchstrukturiertes, auf Frontalwirkung ausgerichtetes Ding, kein entrücktes Gegniedel, sondern vorne an die Rampe treten und draufhauen. Das ergab sich bei den vereinzelten Vernissage-Schlenderern irgendwie nicht. Deswegen haben wir einfach das Trio weitergeführt, noch Felix und Thaddl beigeholt und insgesamt viereinhalb Stunden gespielt.

Das war schon schön, hier ein kleines Hörbeispiel, endlich mal auch mit Thaddäus im typischen Gniedel-Kontext der Hansestadt. Man beachte die Textcollage :)

Das war aber nicht unbedingt typisch für die lange Spielzeit, wir haben viel instrumentale Flächen erzeugt.

Zugegebenermaßen war ich nach dem Auftritt komplett kaputt, das feuchtkalte Klima in den Katakomben und der lange Aufenthalt dort war ein echter Schlauch. Die Frage, die sich mir nach dem Auftritt stellte, war: Wie konnten wir es trotz der widrigen Umstände hinbekommen, so lange zu spielen, ohne dass es für uns langweilig oder unerträglich wurde? (Für die Zuhörer kann ich ja nicht sprechen, deswegen können wir sie ruhig ausblenden.) Das Interessante – das war schon während der Performance zu beobachten – war, dass wir bei diesem langen Zeitraum keine Sorge haben brauchten, dass einer von uns nicht zu Wort kommt. Umgekehrt konnte jeder sich einen kleinen Ego-Ausflug leisten, und die anderen konnten das beobachten und mit dem Publikum kommentieren, sich ein Bier holen, durch die Ausstellung laufen, fachsimpeln und versuchen der Reporterin vom Nordbayrischen Kurier einen brauchbaren Text in den Block zu diktieren.

Das tatsächliche Musizieren wurde dabei zu etwas, das nicht durchgehend die komplette Aufmerksamkeit beanspruchte. Die Immersion oder der Flow, das Gefühl der Selbstwirksamkeit, das sich beim Improvisieren einstellt, konnte uns in Wellen erreichen. Dabei waren diese Wellenberge und -täler der Immersion immer individuell: Wenn Matthias sich total in seinen Akkorden auflöste, konnte ich über die Schrottigkeit meines Ringmodulators nachdenken. Derweil sich Andi wahrscheinlich durch seine Soundbanks klickte und Felix versuchte, dem Gestotter meines Ringmods einen musikalischen Sinn abzutrotzen. Die Tatsache, dass dieses Auf und Ab der Aufmerksamkeiten als Ganzes funktioniert, hat sicher mit der Anzahl der Beteiligten zu tun. Wenn 10 Leute zusammen improvisieren, würden sich die vielen Wellenbewegungen nivellieren und es wahrscheinlich eher ein kontinuierliches Kabbelwasser geben. Wenn nur zwei Musiker diese Wellen erzeugen würden, würde es manchmal starke Interferenzen geben, aber manchmal vielleicht auch garnichts. Die Zahl Vier (Andi, Felix, Matthias und ich) hat sich bei diesem Setup mal wieder als die perfekte Verursachermenge des gegenseitigen Hochschaukelns und Abwiegelns erwiesen. (Thaddäus fällt als Sprecher ein bisschen heraus, und sei es nur, weil der Träger einer sprechenden oder singenden (Live-)Stimme immer als ‚Vorne‘ besetzt wird, und die anderen als ‚Hinten‘. Wir haben dieses Prinzip in obigem Beispiel manchmal in jenen Momenten ausgehebelt, in denen Thaddls Stimme über Felix‘ Schranzmaschinen zerstört werden – ein Effekt, der mich schwer beindruckt hat: Das akustische Sprechereignis klang wie durch den Schredder, aber der Sprecher stand leibhaftig und unbeschadet vor mir.)

Wir planen für die Erlanger Klangkunst-Tage ein Set von acht Stunden. Das ursprüngliche Konzept ging noch von 24 Stunden aus, aber das war von den Räumlichkeiten her (Schließdienst usw.) nicht machbar. Und für Juni in Bayreuth eine Performance von maximal 8 Stunden im Gespräch. Ich bin sehr gespannt, ob das nochmals so gut funktioniert, oder ob es der besondere Ort war, der uns so mitgenommen und mitgezogen hat.

CampusKandinsky in Maisels Katakomben

Meine Güte, in so einer Location aufzuspielen war ein einzigartiges Erlebnis. Anlässlich der CampusKandinsky-Ausstellung in Maisels Brauerei-Katakomben, ca. 7 Meter tief unter der Erde, durfte die Hansestadt zur Vernissage aufspielen. Angekündigt wurde, how quaint: „Musik: Der blaue Elefant“. Aber es kam alles anders, der kurz vorherzusammengestellte Support, bestehend aus Andi, Matthias und mir, spielte statt einer dreiviertel Stunde einfach viereinhalb Stunden und die andere Hälfte des Blauen Elefanten, Felix und Thaddäus, gesellte sich dazu.

Musikalisch ging die Klangreise durch alle Genres, die bislang in der Klangwerkstatt durchgehechelt wurden, und es gab auch ein paar Einblicke auf Neues, bislang Ungehörtes. Performativ waren die Hanseaten mit Grablicht, Einkaufswagen-Klangscooter und zu Bett gelegter Hertiecaster mal wieder an der Speerspitze der Bayreuther Kunst-Avantgarde. Wie immer alles improvisiert und nichts vorher abgesprochen.

Die Katakomben waren akustisch ein Traum, die Klänge waren bis in die hintersten Ecken zu hören und wurden mit zunehmender Entfernung gar nicht leiser, sondern nur ein wenig weicher. Hoffentlich lässt sich die Brauerei bald wieder zu so einer Veranstaltung überreden.

Dem CampusKandinsky-Team an dieser Stelle noch mal ein dickes Dankeschön für die Möglichkeit, dort zu spielen.

Die Ausstellung geht noch bis Sonntag, zur Finissage-Party, also alle hin und Freunde mitbringen.

Hier noch ein paar Impressionen von Matthias‘ Webcam, die einen Eindruck von der Performance geben.

Und hier ein Video von der gesamten Ausstellung… die Musik ist nicht von uns ;-)

Shoegaze im Glashaus

Noch ein Side-Project aus der Gitarrenecke, und zwar ein Noise-Rock-Ding mit vielen Effekten. ‚Shoegaze‘ bezeichnet die performative Komponente dieser Stilrichtung: Schuhekucken. Dabei denken die Musiker die meiste Zeit angestrengt nach, auf welches Effektgeräte sie als Nächstes treten sollen.

Mit Sebastian am Bass und Effekten und Matze (aus Berlin) an den Drums ging es in der Bayreuther Museumsnacht ans Eingemachte. Anderthalb Stunden ohne vorgefertigtes Konzept und vorherige Absprachen, auf die Bühne mit der festen Absicht ordentlich auf den Putz zu hauen. Die Theke hat ausgiebig Ohrenstöpsel verteilt.

Dass dazwischen auch mal sanftere Töne erklangen, dokumentiert folgendes Video. (Vielen Dank an Matze!)

Ich finde die Passage ganz gelungen, weil sie zeigt, was man mit ein paar Tönen um ein harmonisches Zentrum herum alles anfangen kann. Sebastian spielt unerschütterlich schnarrende und pulsierende Tonwiederholungen, während ich einen leicht lädierten Folk-Loop mit gelegentlichen Variationen darüberlege. Beide Schichten sind metrisch bzw. von der ‚Schwungrichtung‘ soweit voneinander unabhängig, dass es eigentlich auch zwei unabhängig aufgenommene Tonspuren gewesen sein könnten. Das gesamte ‚Stück‘ ging etwa 10 Minuten.