Auf dem Spielfeld der freien Improvisation tummeln sich sehr verschiedene Musiker: Musikhochschulabsolventen aus dem Jazz- und Klassikbereich, bildende Künstler und Klangwerker mit einem besonderen ästhetischen Anspruch, Performance-Künstler oder Menschen, die einfach nur Krach machen und eine gute Zeit haben wollen.
Die jeweiligen Ansprüche der Musiker können ganz unterschiedlich sein: Der eine will (auch) sein Können auf dem Instrument darstellen, der andere will eine besondere Aufführungssituation, evtl. mit anderen Musikern und/oder Künstlern herstellen, wieder ein anderer möchte einfach nur möglichst ungewöhnliche Geräusche machen, jener eine Geschichte erzählen usw.usf. Diese Ansprüche müssen jeweils nicht immer gleich stark präsent sein. In einem Moment macht es mir einfach Spass ordentlich abzushreddern oder alberne Klänge auf der Gitarre und den Effekten zu zaubern, einen anderen Moment kommt es aufs Hinhören und die Interaktion an.
Die Momente beim Spielen sind sehr vielgestaltig. Und doch bekommt man ab und zu die süffisante Frage gestellt, ob man für das freie Improvisieren eigentlich sein Instrument gut bis virtuos beherrschen muss. Sollte man vielleicht sein Instrument an einer Hochschule gelernt haben und evtl. seine Meriten in anderen, ‚etablierteren‘ Bereichen wie dem Jazz oder der Klassik erlangt haben? Hinter dieser Frage steckt die Vorstellung eines ‚richtigen‘ und angemessenen Spielens. Besonders im Jazzbereich ist die Schnelligkeit und Geläufigkeit wichtig, da erscheinen mir die Jazzer dogmatischer als die Klassiker oder Musiker der (komponierten) Neuen Musik.
Der Komponist, Posaunist und Improvisator Vinko Globokar hat es mal auf den Punkt gebracht, wenn er sich darüber beklagte, dass er im Free Jazz keine tiefen langen Töne mehr spielen dürfe. Er legt mit dieser Klage ein wichtiges Unterscheidungskriterium zwischen Improvisierter Musik (im Sinne der Neuen Musik) und Free Jazz offen: Der Free Jazz hat das Virtuostitätsparadigma des Bebop und Hardbop übernommen und auf die erweiterten Spieltechniken ausgeweitet. Deswegen klingt Free Jazz (der traditionellen Ausrichtung, wenn man so sagen kann) immer schnell, hektisch und im oberen Klangbereich und meistens auch im oberen dynamischen Bereich. Also: Höher, schneller, weiter, lauter. Der durch das Genre an den Musiker herangebrachte ‚Leistungsanspruch‘ legt die Musiksprache fest.
So weit, so gut. Das Problem ist aber, dass jedes Musikgenre seine Anfänger, Laien, Semi-Profis und Profis, Feierabendkapellen und Weltstars, Kammervirtuosen und Stümper, warum nicht auch die frei improvisierte Musik und besonders der Free Jazz mit seinem Virtuositätsanspruch? Das bringt den angehenden Free Jazzer vor ein Dilemma: Wie lange soll er üben, bis er wirklich gut, d.h. dem Virtuositätsparadigma entsprechend, spielt? Und schlimmer: Wann merkt er, dass er gut genug ist? Soll er sich eine Peer Group erschaffen, die ab und zu mal bei ihm zuhause vorbei schaut und ihn dementsprechend bewertet?…
Ich denke, dass man die Frage, ob man gut bis virtuos spielen muss, für den Bereich der improvisierten Musik getrost mit nein beantworten kann. Natürlich ist es von Vorteil, dass man weiss, was das Instrument macht, wenn man es spielt, und es ist auch gut, ’schön‘ und ‚häßlich‘ und langsam und schnell im Bedarfsfall abrufen zu können. Aber es gibt (anders als im Realbook-Jazz) keine Polizei, die einen von der Bühne kickt, wenn man mal was ‚falsch‘ gemacht hat.
Mehr fällt mir zu dem Thema gerade nicht ein. Das nächste Mal geht es um die Frage des möglichen und tatsächlichen Publikums solcher Musik: Wer will so eine Musik eigentlich hören?